Argentinien - Chile - Rentner & Aussteiger (9)
Argentinien bis Chile - Mit 2 Kindern on tour
► Teil 9: Von Rentnern und Aussteigern
(W.R.) Verrückt oder mutig? Schon wieder ist es 11:30 Uhr, als wir schließlich in Puerto Varas vom Campingplatz rollen und unseren Radlertag beginnen. Es ist nicht so, dass wir bis 10 Uhr im Bett, ähm auf der Isomatte liegen. Nein - Faulenzen ist nicht der Grund für unseren spätes Losfahren. Es sind die vielen interessanten Leute, die wir hier treffen. Ihre Geschichten faszinieren uns und so nehmen wir einen späten Start gerne in Kauf. Der Süden Chiles und speziell Patagonien ist Anziehungspunkt für Radreisende, Abenteurer, Aussteiger. Und da wir zu Hause oft entweder als mutig oder als verrückt bezeichnet werden, wollen wir diesen Artikel denen widmen, die viel mutiger oder verrückter sind als wir.
Jonathan und die Eselfreundschaft Da wäre zum Beispiel Jonathan, der vor sieben Jahre in seiner Heimat Oregon, USA den Wunsch verspürte Distanz zur amerikanischen Kultur zu bekommen. Er zog in die Berge und lebte dort einige Zeit wie ein Einsiedler, las viel und suchte Gott. Doch er ist ein Mensch, der gerne mit anderen Menschen zusammen ist und interessante Begegnungen sucht. So begab er sich auf Wanderschaft und stand irgendwann vor der Staatsgrenze nach Mexiko. Irgendetwas zog ihn weiter und er fand Arbeit bei einer mexikanischen Familie. Als Lohn bekam er ein paar neue Wanderschuhe und einen Esel. Und da er inzwischen auch Spanisch gelernt hatte, zog er weiter durch Mittel- und schließlich Südamerika, immer zu Fuß und begleitet von seinem Esel. Mit dem Esel verband ihn bald eine sehr enge Freundschaft - schließlich teilten sie gemeinsam die Freuden und Leiden von Wanderern. In Brasilien jedoch passierte etwas Schreckliches: der Esel wurde von einer giftigen Schlange gebissen und starb. Jonathan trauerte und machte sich schließlich alleine weiter auf den Weg. Als wir ihn auf der Carretera Austral treffen, hat er einen kleinen Wagen dabei, auf dem er seine wenigen Sachen transportiert. Er ist inzwischen 7 Jahre unterwegs und läuft täglich zwischen 30 und 40 km zu Fuß. Er liest sehr viel und hat - im einsamen Patagonien - viel Zeit zum Nachdenken. Jonathan fasziniert uns sofort durch seine ruhige und tiefgründige Art - er würde einen guten buddhistischen Mönch abgeben. In Feuerland wird seine Wanderung schließlich enden, denn er möchte nach Hause zurückkehren.
(A.B.) Washington und das Heimweh nach Patagonien Wir sind fast am Ende der Welt, als Washington auf uns zugeritten kommt und lacht. Seine grauen Haare sind zum Zopf gebunden und unter einem Hut versteckt. Seine Kluft erinnert an John Wayne und sagt uns unmissverständlich: das ist ein "echter" Cowboy. Er lässt Smilla auf das Pferd steigen und bietet uns einen Platz auf seinem Grundstück zum Schlafen an. Er erzählt uns viele Geschichten, die wir jedoch nicht alle verstehen. Als er so furios wieder verschwindet, wie er kam, schauen wir uns fragend an. Besonders Wibke ist skeptisch. Morgen schauen wir bei dem Mann namens Washington einfach einmal vorbei. Selma hat ihn übrigens Bierschinken getauft. Eine Wortverwandtschaft ist ja nicht zu leugnen. Am nächsten Tag sehe ich im Fenster eines Cafe´s ein Buch mit dem Namen Patagonien (Peter Gebhard), in dem über unseren Washington berichtet wird. Hier lesen wir seine Geschichten, ja seine Lebensgeschichte. Aufgewachsen in Patagonien hatte er als junger Mann unter der Regierung Allende einen wichtigen Posten im Landwirtschaftsministerium der Region inne. Als Pinochet die Macht an sich riss, musste Washington, wie viele andere, ins Exil flüchten. Von Argentinien verschlug es ihn nach Rumänien, wo er zeichnen lernte und es soweit voran trieb, bis er Portraitmaler des Diktators Chauchescu wurde. Irgendwann rebellierte sein freier Geist gegen dieses Regime und er flüchtete abermals, jetzt nach Schweden. Im Norden gab er Survivalkurse, bis ihm nach Jahren das Heimweh in seine wilde patagonische Heimat packte. Zurück in Chile fand er wieder eine gute Anstellung und ritt als echter Gaucho zur Arbeit, so wie er es immer tat. Doch die Strassen in der Provinzhauptstadt waren nun geteert und er wurde für sein altmodisches Tun belächelt. Sein Pferd stand zudem oft im Halteverbot und bekam einige Knöllchen.
Wir suchen Washington auf. Gut gelaunt, wie er es immer ist, sagt er, wir könnten solange bleiben wie wir wollen. Das Wasser aus dem Fluss kann man trinken. Es ist ein himmlischer Flecken Erde, wo er sich vom Welttrubel zurück gezogen hat.
(W.R.) Dagmar, Bernd und der wohlverdiente Ruhestand Rentner, Vorruheständler und Altersteilzeitler aufgepasst! Um die Träume seines Lebens zu verwirklichen, ist es nie zu spät. Dagmar und Bernd aus Hessen machen vor wie es geht. Kaum hatten beide das Rentenalter erreicht, verkauften sie ihr Haus, sortierten 40 Jahre ihres Lebens in Pappkartons und schmissen vieles auch weg. Seit fast einem Jahr fahren sie in ihrem Pickup plus Wohnkabiene durch Südamerika - Nordamerika steht als nächstes auf dem Programm. Uns beeindrucken die beiden durch ihren Schwung und Elan. Statt auf der Couch auf die ersten Zipperlein zu warten, nutzen sie die neue Freiheit um Reisen zu machen, für die sie bisher keine Zeit hatten. Für den Fall der Fälle haben sie in Deutschland eine kleine Wohnung gemietet, in die sie jeder Zeit zurückkehren könnten. Daran ist im Moment aber nicht zu denken.
Abenteuer Rennsteig Es gäbe noch viele andere zu erwähnen. Zum Beispiel der spanische Radfahrer, der seit 3 Jahren die Welt erkundet und nach zahlreichen Naturwundern und fremden Kulturen müde ist vom Reisen. Oder die Reisende aus Belgien, die mit einem Segelboot nach Französisch Guayana übersetzte und seitdem alleine den südamerikanischen Kontinent von Nord nach Süd mit dem Rad durchquert. Neben den zahlreichen Reisenden sind es aber auch die Einheimischen hier, die uns immer wieder staunen lassen. Vor allem die Ruhe und Gelassenheit, mit der sie dem Leben begegnen, sind für unser deutsches Denken einerseits ein Rätsel, andererseits eine Wohltat. Wir hoffen ein wenig davon mit nach Hause nehmen zu können. Mittlerweile befinden wir uns quasi auf dem Heimweg. Santiago ist nur noch lächerliche 900 km von uns entfernt. Vor allem Smilla schmiedet bereits grosse Pläne für die Zeit danach. Eins steht fest - die Begegnungen während unserer Reise haben uns inspiriert. Wir hoffen, dass vielleicht eines Tages der Rennsteig -ähnlich der Careterra Austral- Anziehungspunkt für Globetrotter, Abenteurer und Aussteiger aus aller Welt sein wird.
Viele Grüße von der anderen Seite der Welt!
Selma, Smilla, Axel und Wibke.
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